A Weekly Digital Diary
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Brief aus Berlin

 

Willkommen!

Herzlich willkommen zu unserem Brief aus Berlin!

Diese Woche konzentrieren wir uns auf neue Projekte und die Wiedereröffnung von Ausstellungen.

Die online Filmvorführung dieser Woche präsentiert zwei Werke von Liam Gillick, Construction of One, 2016, und Pelin Tan A Film by Liam Gillick, 2019. Wir stellen auch seinen Beitrag zu A Fair Land Pforzheim vor, ein von Robert Eikmeyer organisiertes Projekt.

Bitte beachten Sie, dass diese Links zur wöchentlichen Filmauswahl temporär sind: Die Filme können nur bis Sonntagabend, Berliner Zeit, angesehen werden.

Alles, was Sie vielleicht in unseren Social Media-Kanälen verpasst haben, finden Sie auf Continuity, unserer digitalen Plattform.

Bleiben Sie gesund.
 

Filmscreening für dieses Wochenende – Zwei Filme von Liam Gillick

Pelin Tan: A Film by Liam Gillick, 2019, 4K Video, 27:54 Min. Spieldauer. Filmstill © Liam Gillick

Pelin Tan: A Film by Liam Gillick, 2019
4K Video
27:54 Min.

Für die Europäische Kulturstadt Matera 2019 untersuchte Pelin Tan die Arbeitsbedingungen und das neue Orts- und Gemeinschaftsgefühl, das 1950 mit der Riforma Agraria begann: vom Exodus aus den Sassi von Matera in die neu gebauten Viertel in den folgenden Jahrzehnten über die Wiederbesetzung der Sassi durch linke Aktivisten in den 1970er Jahren bis hin zur heutigen Ankunft von Migranten über das Mittelmeer.

Pelin Tan ist Soziologin und Kunsthistorikerin, die sechste Empfängerin des Keith Haring Fellowship in Art and Activism am Bard College Center for Curatorial Studies (2019 - 2020) und Forschungsstipendiatin des Center for Arts, Design, and Social Research (Boston). Tan ist an künstlerischen und architektonischen Projekten beteiligt, die sich mit urbanen Konflikten, Territorialpolitik und Arbeitsbedingungen befassen.

Liam Gillick, Construction of One, 2016, HD Video, 12: 24 Min. Spieldauer. Filmstill © Liam Gillick

Construction of One, 2016
HD-Video
12:24 Min.

Found Footage von BMW-Autos, die vollständig recycelt werden, wird gespiegelt und umgedreht. Die Musik stammt von der ersten Seite der Schallplatte des Künstlers aus dem Jahr 2016 Oh! Wolfgang / Good Grief!

Construction of One begann als Arbeitstitel für verschiedene Reflexionen über Produktionsweisen in spätindustriellen Kontexten in dem Moment, als die Massenarbeit durch automatisierte Systeme ersetzt werden sollte. Beginnend im Jahr 2005 mit einer Reihe von Ausstellungen, Filmen, theoretischen Texten und Publikationen, ist Construction of One heute ein umfangreiches Manuskript von 45.000 Wörtern. Der unveröffentlichte Text enthält einen Anhang, der zwei ausführliche analytische Abhandlungen über die revidierten Arbeitspraktiken enthält, die Volvo Anfang der 1970er Jahre eingeführt hat. Obwohl das Manuskript als Ganzes zu keinem bestimmten Zeitpunkt von Volvo handelt, kehrt es häufig zum Thema eines Produktionsstandorts für große Konsumgüter (wahrscheinlich Autos) in Nordeuropa irgendwann gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zurück.

Ausgangspunkt der Arbeit war die Überlegung, was geschehen könnte, wenn es in einer Kultur, in der es keine Krise geben soll, eine Krise gibt. Die Texte vermeiden zwar präzise dokumentarische Strategien zugunsten ineinander verwobener Erzählungen, struktureller Spekulationen und umweltpolitischer Phantasien, sind aber angesichts der jüngsten Zusammenbrüche des Bankkreditsystems und der zunehmenden Einflussnahme nationalistischer Politiker im Kontext vermeintlich solider nordeuropäischer Sozialdemokratien mit gewachsenen und dauerhaften Werten, die fest mit "aufgeklärten" Arbeitspraktiken verflochten sind, (un)überraschend weitsichtig. Aus der kritischen Perspektive des avancierten Kunstkontextes waren diese Entwicklungen keine Überraschung, während Construction of One als Ganzes im Kontext früherer Texte gelesen werden kann, wie z.B. Erasmus Is Late in seinen Versuchen, häufig zu Momenten der Wendepunkte oder des Stresses zurückzukehren, die maskiert oder unerkannt zu sein scheinen, isoliert von einem widersprüchlichen Kontext eines scheinbar stabilen Exzeptionalismus, der gegen die Verwüstungen des Piratenkapitals immun ist. Bedenkt man die Geschichte des postmodernen Skeptizismus gegenüber einem klassischen marxistischen Fokus auf die Ethik der Arbeit, so ist die Construction of One repetitiv, inkonsequent und dauerhaft unvollendet.

Oh! Wolfgang / Good Grief! ist eine limitierte Auflage einer 12-Zoll-Schallplatte/Vinyl mit 45 rpm, die von Brigade Commerz herausgegeben wird. Der lyrische Inhalt der Platte ist eine Adaption von Texten aus Dave Beechs Buch Art and Value: Art’s Economic Exceptionalism in Classical, Neoclassical and Marxist Economics (Brill, 2015).

Texte von Liam Gillick
 

PS81E

Liam Gillick, Card for PS81E, 2020

PS81E
mit Werken von Stefan Bertalan, Martin Boyce, Matti Braun, AA Bronson and Reima Hirvonen, Angela Bulloch, Nathan Carter, Etienne Chambaud, Jean-Pascal Flavien, Ceal Floyer, Simon Fujiwara, Ryan Gander, General Idea, Francesco Gennari, Liam Gillick, Andrew Grassie, Ann Veronica Janssens, Gabriel Kuri, Jac Leirner, Ari Benjamin Meyers, Roman Ondak, Philippe Parreno, Ugo Rondinone, Christopher Roth, Anri Sala, Karin Sander, Julia Scher, Daniel Steegmann Mangrané, Tao Hui

16. Juni - 25. Juli, 2020

In einem normalen Jahr wären wir nun auf der Art Basel. Für die diesjährige Messe hatten wir einen aussergewöhnlichen Stand kuratiert, wichtige Arbeiten ausgewählt und viele neue produziert. Aus der ganzen Welt wären diese Werke angekommen, unser Stand wäre in gut drei Tagen aufgebaut worden, und unser Team stünde bereit, Sie zu begrüßen. Wenn sich dann die Türen öffnen und die Besucher hereinströmen würden, wäre die Zeit elastisch geworden: eine Million kurzer Begegnungen komprimiert in wenigen Stunden.

Stattdessen haben wir diese Werke in unserer Berliner Galerie installiert. Es ist in gewisser Weise eine Anti-Messe: Unter Einhaltung der Auflagen zu sozialen Kontaktbeschränkungen wird es genügend Raum und Zeit geben, sich mit jedem Besucher zu unterhalten. Auch wenn der Eintritt zuweilen limitiert werden mag, ist die Zeit nicht begrenzt. Mit unserer Ausstellung PS81E wollen wir die nicht zu ersetzende Erfahrung der persönlichen Begegnung mit einem Kunstwerk würdigen. Wir nehmen dies als eine Chance wahr.

Während die Galerie ihr digitales Angebot expandierte, führten die letzten Monate auch zu einem erweiterten Dialog mit unseren Künstlern, der in diese Ausstellung eingeflossen ist. Was die Art Basel 2020 hätte sein können - unser Messestand - ist in langen Gesprächen Teil eines Neuanfangs geworden, einer neuen Art, die Geschichte unserer Ausstellungen zu erzählen: live und online.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in unserer Galerie, um in Berlin zu sehen, was die Art Basel 2020 hätte sein können, jetzt aber PS81E ist.

Festival! Ein Projekt von Esther Schipper und Mehdi Chouakri
#1 – Angela Bulloch | Gerwald Rockenschaub

Von links nach rechts: Gerwald Rockenschaub, Acrylic glass, MDF lacquered, 2019, 154 x 129 x 4 cm; Angela Bulloch, Four Form Stack: Golden Copper, 2019, MDF, Farbe, circa 120 x 50 x 30 cm.
Ausstellungsansicht: Festival! A Project by Esther Schipper and Mehdi Chouakri, Mehdi Chouakri, Berlin, 2020
Photo © Mehdi Chouakri

FESTIVAL!

Ein Projekt von Esther Schipper und Mehdi Chouakri
Mehdi Chouakri, Eingang: Mommsenstrasse 4, D–10623 Berlin

Neue Ausstellung alle zwei Wochen
12. Juni – 6. August 2020

Angela Bulloch | Gerwald Rockenschaub, eröffnet 12. Juni, 12.00 – 18.00
Isa Melsheimer | N. Dash
Anri Sala | Saâdane Afif
Ari Benjamin Meyers | Charlotte Posenenske


Festival! beginnt mit der Freundschaft von Künstler*innen und ihren beiden Galeristen*innen und schlägt eine Brücke über 25 Jahre und Neuanfänge, über persönliche, formale und konzeptionelle Verwandtschaften und noch zu entdeckende Verbindungen.

Den Auftakt machen Angela Bulloch und Gerwald Rockenschaub. Die Künstler*innen, die in der Vergangenheit bereits gemeinsam ausgestellt haben, teilen in gewisser Weise ein formales Vokabular, das sowohl vom Minimalismus als auch vom Digitalen geprägt ist. Angela Bulloch analysiert die Strukturen, die unser Sozialverhalten bestimmen, und stellt sie mit einem nachhaltigen konzeptionellen Ansatz in Frage. Ihre Arbeit erstreckt sich über viele Medien und offenbart ihr Interesse an Systemen, Mustern und Regeln sowie ihre anhaltende Beschäftigung mit der Geschichte der Formen und der menschlichen Interaktion. Die Serie ihrer neueren Skulpturen verbindet ihr Interesse an der Logik der Geometrie und Serialität mit einer grafischen Qualität.

Ursprünglich bekannt als Teil der so genannten Neo-Geo-Bewegung, die in den frühen 1980er Jahren aufkam, ist Gerwald Rockenschaubs unorthodoxe Herangehensweise an tief verwurzelte Erwartungen und visuelle Wahrnehmungen heute wesentlich für seinen Ansatz - er versucht stets diese auf subtile, technisch präzise Weise zu unterlaufen. Die ausgeprägte Annäherung seiner Farben, Formen und vor allem seiner künstlichen, synthetischen Materialien an die Welt des Produktdesigns ist ebenso vertraut wie verunsichernd.

Es folgen Isa Melsheimer und N.Dash, die einen unterschiedlichen Zugang zur Materialität ihrer Werke teilen, des Weiteren Anri Sala und Saâdane Afif, die sehr eng befreundet sind, und zuletzt Ari Benjamin Meyers, dessen von seiner Ausbildung zum Dirigenten geprägte Praxis einer modularen Improvisation, ihn mit Werken von Charlotte Posenenske verbindet.
 

Ausstellungseröffnungen und Wiedereröffnungen in Berlin

Anri Sala, House with Horizon, 2002, Farbfotografie auf Dibond, 110 x 157 cm. Courtesy Hauser & Wirth.
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Im Zuge der Wiedereröffnung von Institutionen und Galerien möchten wir Sie über Ausstellungen in Berlin informieren, in denen Künstler der Galerie vertreten sind. Neben unserer Ausstellung PS81E und Festival!, dem Gemeinschaftsprojekt mit Mehdi Chouakri, sehen Sie eine Arbeit von Anri Sala in Time Present, der Präsentation von Fotoarbeiten aus der Sammlung Deutsche Bank im Palais Populaire, die diese Woche, am 10. Juni, eröffnet wurde. Die Sammlung Boros in der Werke von Martin Boyce zu sehen sind ist wiedereröffnet worden. Führungen können wieder gebucht werden. Die Ausstellung von Isa Melsheimer im KINDL läuft noch bis zum 5. Juli. Am 1. Juli eröffnet die Daimler-Sammlung ihre Gruppenausstellung mit einem Werk von Dominique Gonzalez-Foerster wieder.

Martin Boyce, We Pass But Never Touch, 2003, veränderte Stühle, Ketten, Draht, pulverbeschichteter Stahl 300 x 300 x 300 cm. Ausstellungsansicht: Bunker #3, Boros Collection, Berlin 2017
Photo © Noshe

Ausstellungsansicht: Isa Melsheimer, Der unerfreuliche Zustand der Textur, Maschinenhaus M2, KINDL – Centre for Contemporary Art, Berlin, 2020
Photo © Oliver Mark

Dominique Gonzalez-Foerster, Dream, 2001, Neon, Transformator, farbige Wand, circa 180 x 400 x 220 cm (Wandmalerei), 50 x 33 cm (Neon)
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020
Photo © Andrea Rossetti

 

Liam Gillick – A Greener House for A Fairer Land, Pforzheim

Liam Gillick, A Fair Land Pforzheim, 2020
Photos © Lara Zettl & Julian Kirschler

A Greener House for A Fairer Land (Ein grüneres Haus für ein faireres Land)

Ende Mai wurde an der Universität in Pforzheim, das von Robert Eikmeyer organisierte Projekt A Fair Land Pforzheim eröffnet. In seinem konzeptionellen und physischen Zentrum, einem zentralen Platz der Stadt, verläuft eine Arbeit von Liam Gillick entlang des Dachgiebels eines Gewächshauses: Ähnlich einer architektonischen Kuppe gibt sie dem Gebäude einen enigmatischen Titel: I=PxAxT.

Die Gleichungen in Gillicks Werken, die in ihren jeweiligen Fachgebieten oft bekannt und mitunter auch kontrovers sind, verbinden Elemente aus vielen Disziplinen: darunter Biologie, Wirtschaft, Ökologie, Physik und/oder Soziologie. Während die universalisierende Sprache der mathematischen Formeln ihnen den Anschein von Objektivität verleiht, sind die zugrundeliegenden Konzepte und die in den Berechnungen artikulierten Ergebnisse (oder besser: Prognosen) oft umstritten.

Der Künstler hat Gleichungen in mehreren großen öffentlichen Projekten eingesetzt, darunter Arbeiten für die Biennale Istanbul 2015, eine Kommission für die Europäische Zentralbank, 2015, und in jüngerer Zeit in Melbourne, Okayama und Seoul. Im Rahmen eines Projekts anlässlich der UN-Klimakonferenz COP21 platzierte Gillick eine Reihe von Gleichungen, die sich auf die Entwicklung mathematischer Modelle zur Untersuchung des Klimawandels durch Suki Manabe beziehen, auf allen Bahnsteigen des Pariser RER-Bahnhofs am Gare du Nord.

In einem Interview vermerkte der Künstler: "Ich habe mich schon immer für Mathematik interessiert, aber vor allem jetzt, wo Algorithmen für den immer schnelleren wirtschaftlichen Handel und die menschliche Manipulation so zentral geworden sind. Ich habe mich den Gleichungen zugewandt, weil sie oft ästhetisch schön sind. Man kann sie nicht googeln. Sie sind eine internationale Sprache. Sie sind eine Struktur, die Inhalte aufnehmen und verschiedene Ergebnisse produzieren kann. Ich arbeite jetzt mit Gleichungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Informationstheorie. Mir ist klargeworden, dass viele der Dinge, über die ich in Textform sprechen wollte, mit Hilfe der Mathematik besser artikuliert werden können".

Gillicks Textarbeiten stützen sich oft auf eine strategische "logische Dislogik" und auf einen situationistisch inspirierten Ansatz des Spiels, das in einer sehr bewusst komplexen Weise als Störung fungiert. Dies kann die Form einer Dynamik einer spielerischen Störung annehmen, die konkrete Bezugspunkte einbezieht und sich gleichzeitig einer leichten Verständlichkeit widersetzt, um eine produktive Irritation zu erzeugen.

Liam Gillick, Hydrodynamica Applied, 2015. Photo © Sahir Uğur Eren

Liam Gillick, The Logical Basis, 2015, Gare du Nord, Paris, aus Anlass der UN Klimawandelkonferenz COP21. Photos © David Paquin

A Fair Land Pforzheim ist ein Projekt der Fakultät für Gestaltung an der Hochschule Pforzheim, das sich im Sommer mit Kunst, Design und Architektur beschäftigt. Das Projekt nimmt die Form eines Modelldorfes mit einer eigenständigen Wirtschaft an, basierend auf einem Gewächshaus und Hunderten von Zucchinipflanzen, die auf Strohballen wachsen.

„Entwerfen“ wird hier als eine Praxis des Designs verstanden, die Orte, Artefakte und Kontexte hervorbringt, die die Handlungsspielräume der Benutzer erweitern, wodurch die Beziehungen der Menschen untereinander und zu ihrer Umwelt vorübergehend neu organisiert werden. Ziel des Projekts ist es, sinnvolle Dinge und Erfahrungen aus einem absoluten Minimum an Materialien zu schaffen. Das Projekt startet mit einer Mehrzweckpflanze – in diesem Fall einer schnellen und einfachen – Zucchini. Mehrere hundert Jungpflanzen werden vor Ort angebaut und bilden ein spektakuläres Strohballengrundstück. Aus dieser Ernte entwickeln sich weitere Produkte und einer eigenen Ökonomie.

Der Prototyp von A Fair Land wurde erstmals 2016 von der britischen Kunstorganisation Grizedale Arts im Irischen Museum für Moderne Kunst in Dublin realisiert. Wie Hannah Duguid damals im Frieze Magazine schrieb: "A Fair Land war eine theatralische Version eines Modelldorfes, ein imaginäres Lebenssystem, das von Grizedale Arts entwickelt wurde, einer Kunstorganisation mit Sitz im Lake District, die kreatives Denken in die Grundlagen des Lebens einfließen lässt. Jede von Künstlern in Grizedale unternommene Aktion hat einen gewissen Gebrauchswert. Liam Gillick entwarf Regale für die Bibliothek in ihrem Dorf; während der Residenzen sind die Künstler um neun Uhr morgens im Garten bei der Arbeit. In A Fair Land kontrollieren die Teilnehmer jeden Aspekt ihres Lebens. Sie bauen an und stellen ihr Essen, ihre Kleidung, ihr Geschirr, ihre Möbel, ihre Häuser, ihre Wirtschaft und ihre Schulen selbst her. Es ist eine hauswirtschaftliche Revolution, die mit Witz und einem ironischen Lächeln in Angriff genommen wird, bei der Blumenarrangements, Besteck und Tischmanieren zu radikalen Akten der Selbstbestimmung werden können. Die Ideen gehen auf den Osteraufstand von 1916 zurück – von dem dieses Projekt Teil der Hundertjahrfeierlichkeiten ist –, als Künstler, die von der Arts-and-Crafts-Bewegung des späten 19. Jahrhunderts beeinflusst waren, die Industrialisierung zugunsten einer kreativeren Gesellschaft ablehnten. Der Erste Weltkrieg sah solche Ideale unter einer Masse von Leichen und Maxim-Maschinengewehren versinken".

Mit der IPAT-Gleichung hat Gillick den historischen Kontext der laufenden ökologischen Debatten aufgegriffen. I=PxAxT ist eine umstrittene Gleichung, die 1970 von Paul R. Ehrlich und John Holdren aufgestellt wurde, um den menschlichen Einfluss auf den Planeten eindringlich zu demonstrieren. Ehrlich schrieb Die Bevölkerungsbombe, das 1968 veröffentlicht wurde. In der Gleichung steht I für Impact/Auswirkung, P für Population/Bevölkerung, A für Affluence/Wohlstand und T für Technology/Technologie. Das Buch prophezeite Massenhunger aufgrund des Bevölkerungswachstums und des daraus resultierenden Ressourcenmangels trotz steigenden Wohlstands und technologischer Entwicklungen. Die I=PxAxT-Formel in ihrer mildesten Form bietet einen klar ausgedrückten Satz von Beziehungen zwischen Bevölkerung, Wohlstand und Technologie. Ihren schärfsten Kritikern ist sie kaum mehr als eine auf Durchschnittswerten basierende Gemeinplatz-Regel, die die Ärmsten auf dem Planeten für all unsere Probleme verantwortlich macht. Ehrlich machte in den 1960er und 1970er Jahren eine Reihe von Vorhersagen über die globale Katastrophe, von denen viele nicht eingetreten sind. Später hat er seine grundlegenden Einsichten bekräftigt und behauptet, dass wir die unvermeidliche, durch das Bevölkerungswachstum verursachte Katastrophe nur hinausschieben.

Fragen von nachhaltiger Entwicklung, die das Projekt in Pforzheim im Kleinen aufwirft, werden mit dem Verweis auf die IPAT-Formel in Gillicks Werk verstärkt in einen globalen aber auch historischen Kontext gestellt. Mit der aktuellen Version setzt die Fakultät für Gestaltung ihre Reihe zum partizipatorischen Design fort, in der bereits Workshops unter anderem mit dem Kollektiv Assemble, Van Bo Le-Mentzel und Vitra stattgefunden haben. Während des Sommers finden Workshops statt, wobei zum Beispiel Rikrit Tiravanija im Juli einen Cookshop mit Solarkochern im Gewächshaus einrichten wird, während Jonathan Meese eine Fair-Land-Fahne vorbereitet.


Mehr Informationen zum Projekt finden Sie auf Instagram unter @afairland_pf
 

The Reading Corner

<b>Liam Gillick</b><br>

Liam Gillick

Half a Complex
Verlag: Hatje Cantz
Sprache: Englisch

Available here

Liam Gillicks Half a Complex gibt einen Überblick über sein Werk und ausgewählte Schriften seit 2008. Der Titel deutet auf eine absichtlich unlösbare Unvollständigkeit im Kern seines Werkes hin. Ausgewählte Werkgruppen seiner abstrakten Arbeiten werden ausführlich dokumentiert und offenbaren einen bewussten Kommentar zu den Produktions- und Rezeptionsbedingungen, die die Kunst heute umgeben.

Das Buch enthält auch seine Ausstellungen, öffentlichen Projekte, grafischen Arbeiten, Filme und Kollaborationen - und eine umfassende Sammlung Texte von Gillick, der auch ein produktiver Schriftsteller und Kritiker der zeitgenössischen Kunst ist.

 

Ausstellungswiedereröffnung in Seoul – Ann Veronica Janssens, Connect, BTS

Ann Veronica Janssens, Green, Yellow and Pink, 2017, künstlicher Nebel, Lichtfilter grün, gelb, rosa,
Maße variabel. Ausstellungsansicht: Green, Yellow, and Pink, Dongdaemun Design Plaza (DDP), Seoul, 2020
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020. Photo © Jang Jun-Ho

Ann Veronica Janssens Projekt in Seoul wird am 19. Juni wiedereröffnet und läuft noch bis 30. Juni 2020
 

Nur noch kurze Zeit – Ann Veronica Janssens, Louisiana Museum

Ausstellungsansicht: Ann Veronica Janssens, HOT PINK TURQUOISE, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, 2020. © VG Bild-Kunst, Bonn, 2020. Photo © Kim Hansen

Ann Veronica Janssens Einzelausstellung HOT PINK TURQUOISE im Lousiana Museum of Modern Art in Humlebæk, Dänemark endet am 21. Juni 2020.