A Weekly Digital Diary
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Brief aus Berlin

 

Willkommen!

Willkommen zu unserem Brief aus Berlin!

In dieser Woche konzentrieren wir uns weiterhin auf neue Projekte und die Wiedereröffnung von Ausstellungen.

Diese Woche nehmen wir die Ausstellung mehrerer bedeutender Werke von Anri Sala (im ARoS, in Aarhus, der Kienzle Art Foundation in Berlin und in der Galerie) zum Anlass, uns auf den Künstler zu konzentrieren und auch sein Take Over (Marseillaise) als unseren wöchentlichen Online-Film zu zeigen.

Im Rahmen von Festival! läuft die Ausstellung von Isa Melsheimer und N.Dash noch bis nächsten Donnerstag. Am darauffolgenden Wochenende, dem 11. Juli, eröffnet die Ausstellung von Sala und Saâdane Afif.

Wir möchten Sie auf eine umfassende Ausstellung von Grönlund-Nisunen im Shanghai Minsheng Art Museum aufmerksam machen und drucken ein Interview und einen Essay über die beiden finnischen Künstler ab.

Ab dem 14. Juli wird Simon Fujiwara's Joanne im Rahmen des 2020 Seoul Photo Festival gezeigt.

Der wöchentliche Brief aus Berlin macht eine Sommerpause. Nach einer Reise-Ausgabe Ende Juli kehren wir im Herbst mit neuen Beiträgen zurück! Alle bisherigen Ausgaben und alles, was Sie vielleicht in unseren Social-Media Kanälen verpasst haben, finden Sie auf Continuity, unserer digitalen Plattform.

Bleiben Sie gesund.

Film screening – Anri Sala, Take Over (Marseillaise)

Anri Sala, Take Over (Marseillaise), 2017, HD Videoprojektion, in Farbe, Stereosound, 7:56 Min Spieldauer
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020
Filmstill © Anri Sala

Diese Woche wird Anri Salas großformatige Sound- und Videoinstallation Take Over als Teil von Mythologies - The Beginning and End of Civilizations im ARoS Kunstmuseum in Aarhus eröffnet. In Berlin wird das frühe Meisterwerk des Künstlers Intervista in der Kienzle Art Foundation zu sehen sein, und am darauffolgenden Wochenende, am 11. Juli, bringt die dritte Festival! Ausstellung Sala mit seinem langjährigen Freund Saâdane Afif zusammen. Wir nehmen dies zum Anlass, Take Over (Marseillaise) zu zeigen - einen der beiden Filme, die das eng choreographierte Zusammenspiel von Bild und Ton in der Installation ausmachen - und einen genaueren Blick auf das derzeit in der Galerie ausgestellte Werk des Künstlers zu werfen, If and Only If (modern times) aus dem Jahr 2018.


Take Over (Marseillaise), 2017

Eine Begegnung mit einer vertrauten Melodie erzeugt in der Regel ein eigenartiges Vergnügen, das sich aus unserer Vorfreude auf das, was folgt, ergibt. Take Over entzieht sich dieser Erfüllung, da es absichtlich zwei in der ganzen Welt gefeierte Lieder - La Marseillaise und The Internationale - miteinander verschränkt.

La Marseillaise wurde 1792 geschrieben und komponiert und war ursprünglich mit der Französischen Revolution verbunden, bevor es sich auf andere Länder ausbreitete, wo es zu einem Symbol für den Sturz repressiver Regime wurde. Der Text der Internationale aus dem Jahr 1871 - eine Hymne an die Ideale von Fairness, Gleichheit und Solidarität - wurde ursprünglich zu der Melodie von La Marseillaise komponiert, bis 1888 die Originalmusik entstand. Diese musikalische Verwandtschaft offenbart ihre einstige symbolische Verwandtschaft. Von Anfang an haben beide Hymnen große Veränderungen in ihrer politischen Konnotation erfahren: von Revolution, Restauration, Sozialismus, Widerstand und Patriotismus bis hin zu zusätzlichen Assoziationen mit Kolonialisierung und Unterdrückung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts (als Nationalhymne Frankreichs bzw. der Sowjetunion). Jahrhunderts (als Nationalhymne Frankreichs bzw. der Sowjetunion). Bis heute ist ihre Bedeutung jedoch im Wandel begriffen, da die zwei Lieder auch weiterhin immer wieder vereinnahmt werden.

Eine lebhafte Darbietung zwischen einem Pianisten und einem selbstspielenden Klavier lässt die beiden Hymnen gegeneinander antreten und verwandelt die Tastatur in eine belebte Landschaft aus Tälern und Gipfeln. Die Verbindung der beiden Melodien erzeugt eine Fremdheit, die nicht durch das Hereinbrechen des Unbekannten in das Bekannte, sondern durch die Subversion des Bekannten durch eine ebenso bekannte Melodie hervorgerufen wird.

-Anri Sala

Anri Sala, Take Over, 2017, back-to-back HD-Videoprojektionen, in Farbe, 8-Kanal-Sound, Glaselemente
7:56 Min Spieldauer, Maße258 x 873 x 873 cm
Ausstellungsansicht: Anri Sala, Take Over, Esther Schipper, Berlin, 2017
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020
Photo © Andrea Rossetti

Mythologies - The Beginning and End of Civilizations (Mythologien - Der Anfang und das Ende von Zivilisationen) ist eine breit angelegte Ausstellung, die die Macht narrativer Konstruktionen durch mehrere Jahrhunderte hindurch verfolgt. Wie die Organisatoren es ausdrücken, möchte die Ausstellung anhand von Beispielen aus der Geschichte Zeiträume aufdecken, in denen mit alten Erzählungen gebrochen wird und in denen neue nach einem häufig radikalen Bruch entstehen. So schlägt die Ausstellung eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und beleuchtet gleichzeitig die gesellschaftlichen Veränderungen, die zu den Wechseln in jenen Mythologien und Erzählungen führten, die für die tragenden Gesellschaftskonstruktionen bedeutsam waren.


Im ARoS ist Take Over in seiner ursprünglichen Konfiguration aus der Präsentation in der Galerie in Berlin zu sehen: als eine in sich geschlossene architektonische Struktur, die aus einer zentralen Wand mit angewinkelten Glaspaneelen besteht.

Ein konzeptioneller Ausgangspunkt für Take Over sind zwei berühmte musikalische Werke, verbunden durch eine miteinander verflochtene politische und kulturelle Geschichte, die Marseillaise und die Internationale.

Die 1792 entstandene Marseillaise war eng mit der Französischen Revolution verbunden, verbreitete sich aber auch schnell in anderen Ländern, wo sie zu einem Symbol für den Sturz repressiver Regime wurde. So wurde auch der Text der Internationalen von 1871 zunächst auf die Marseillaise abgestimmt, bis 1888 die Originalmusik komponiert wurde und das Lied zur Standardhymne der sozialistischen Bewegung wurde. Beide Hymnen haben große Veränderungen in ihrer politischen Konnotation erfahren: von Revolution, Restauration, Sozialismus, Widerstand und Patriotismus bis hin zu zusätzlichen Assoziationen mit Kolonisierung und Unterdrückung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts (als Nationalhymne Frankreichs bzw. der Sowjetunion). Bis heute ist ihre Bedeutung jedoch im Wandel begriffen, da die zwei Lieder auch weiterhin immerwieder vereinnahmt werden. Take Over macht die tiefe Verbundenheit dieser beiden politischen Hymnen hörbar und birgt aus der musikalische Verwandtschaft Spuren dieser sich wandelnden symbolischen Bedeutung.

Die beiden Lieder erscheinen verdoppelt in zwei sich ergänzenden Filmen. Jeweils auf eine Seite der Projektionswand projiziert, zeigen die Filme die Tastatur eines Disklaviers, gespielt von einem menschlichen Spieler und animiert durch die Programmierung des Klaviers. Eine Vielzahl von Handlungen - rhythmische Bewegungen, einzelne Anschläge, Cluster, Wellen oder Ausbrüche - verwandeln die Tastatur in eine belebte Landschaft in Schwarz und Weiss, von Tälern und Gipfeln.

Um die zentrale Projektionsfläche herum schaffen die großen Glasplatten spezifische akustische Umgebungen, in denen nur bestimmte Teile des Soundtracks hörbar sind. In einer räumlichen Entsprechung der beiden Choreografien von Musik und Bild, die die beiden Filme strukturieren, gliedern diese Abschnitte das durch die Installation geschaffene Hörerlebnis weiter.

Take Over löst die Grenzen zwischen den einzelnen Medien nahtlos auf - die Filme sind skulptural, die Glaswände filmisch und die oszillierenden Klänge scheinen den Raum zu formen. Darüber hinaus bestimmt der Sound buchstäblich den Film, dessen wechselnder Fokus an musikalische Töne und die Bewegung der sie erzeugenden Tasten gebunden ist - auch wenn das zugrunde liegende System nicht erkennbar bleibt.

Das Werk wurde in verschiedenen Konfigurationen im Rahmen von Einzelausstellungen des Künstlers im Museo Tamayo, Mexiko-Stadt, 2018, im Castello di Rivoli, Turin, 2019, im MUDAM - Großherzog-Jean-Museum für moderne Kunst, Luxemburg, 2019, und im Centro Botin in Santander, 2020, präsentiert.

Weitere Informationen zu Mythologien - Anfang und Ende von Zivilisationen finden Sie HIER

Anri Sala, If and Only If (modern times), 2018, gefrästes Filmstill auf Textildruck-Stempel aus Holz
6 x 27,5 x 37,5 cm (2 3/8 x 10 5/8 x 14 5/8 in) (Skulptur)
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020
Photo © Roman März

Anri Salas Arbeit If and Only If (modern times), derzeit als Teil von PS81E in der Galerie zu sehen, ist ein Vintage-Textildruckstempel mit einem in die Oberfläche gefrästen Motiv, auf einem Sockel plaziert. Das Bild zeigt eine Schnecke auf einem Bratschenbogen. Es bezieht sich auf den Film If and Only If des Künstlers aus dem Jahr 2018, in dem eine Schnecke die volle Länge eines Bogens entlang läuft und dabei die Aufführung von Igor Strawinskys Elegie für Viola solo durch den berühmten Bratschisten Gérard Caussé verändert. Die Aufführung wird sowohl zu einer interaktiven Improvisation als auch zu einem Austausch zwischen dem Musiker und dem Tier. Wenn sich die Schnecke vorwärts bewegt oder langsamer wird, reagiert der Musiker entsprechend. Dadurch wird die Originalpartitur neu interpretiert, und die Dauer der Komposition wird variiert.

Salas Holzskulptur handelt von der Zeit, ihrem Vergehen und ihren Maßeinheiten. Während im Film das Tempo von Strawinskys Elegie mit der Geschwindigkeit der Schnecke kontrastiert wird, schafft der hölzerne Stempel das Fossil eines Filmstills, das ein einzelnes Bild des ephemeren bewegten Bildes materialisiert and festhält.

Weitere Informationen finden Sie in unserem PS81E Online Viewing Room.

Ausstellungsansicht: PS81E, Esther Schipper, Berlin, 2020
Photo © Andrea Rossetti

 

Anri Sala, Intervista, 1998, Einkanal-Video und Stereoton, 26:00 Min Spieldauer. Courtesy der Künstler; Idéale Audience International, Paris; Galerie Chantal Crousel, Paris; Galerie Rüdiger Schöttle, München; Esther Schipper, Berlin.
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020
Filmstill © Anri Sala

Kienzle Art Foundation
On Speaking
4. Juli 2020 - 22. August 2020
Eröffnung 4. Juli 2020, 15 - 20 Uhr

Julia Büse, Jeremy Deller, Hell Gette, David Lamelas, Julika Rudelius, Anri Sala

kuratiert von Julia Eichler

Die Gruppenausstellung zeigt Intervista aus dem Jahre 1998, entstanden als Anri Sala noch Student in Paris war. Nachdem er unvertontes 16mm-FIlmmaterial von einer Rede fand, die seine Mutter Ende der 1970er Jahre gehalten hatte - als junge Frau war sie eine der Anführerinnen des albanischen kommunistischen Jugendbundes gewesen - ließ der Künstler Schüler einer Schule für Gehörlose aus dem Film von den Lippen ablesen, um die Rede zu rekonstruieren. Sala konfrontierte dann seine Mutter mit dem Film und dem Wortlaut. Sie war nicht über den Inhalt erstaunt, wie Sala später sagte, sondern über die Syntax ihrer damaligen Sprache.

Weitere Informationen finden Sie HIER.
 

PS81E Online Viewing Room

 

Festival! #2 – Isa Melsheimer | N.Dash

Ausstellungsansicht: Festival! A Project by Esther Schipper and Mehdi Chouakri, Mehdi Chouakri, Berlin, 2020⁠
Photo © Ludger Paffrath⁠

Festival! A Project by Esther Schipper and Mehdi Chouakri
Mehdi Chouakri
Mommsenstrasse 410623 Berlin
Isa Melsheimer | N. Dash 27. Juni - 9. Juli, 2020

Press Release DE
Press Release EN

Grönlund-Nisunen Minsheng Art Museum, Shanghai

Grönlund-Nisunen, High Frequency, 2020, parabolische Aluminiumreflektoren, Aluminiumständer, Geigerzähler, Steuereinheit, Verstärker, Hochfrequenztreiber, 28,5 x 2, 3 x,1,9 m
Ausstellungsansicht: Grönlund-Nisunen, Flow With Matter, Minsheng Art Museum, Shanghai, 2020
Photo © Shanghai Minsheng Art Museum

Zwei Parabolspiegel mit je einem Hochfrequenztreiber im Brennpunkt stehen sich an gegenüberliegenden Enden des Ausstellungsraums gegenüber. Die hohen Sinustöne, die durch die Treiber gespielt werden, bilden eine Schallachse zwischen den Spiegeln. Die Tonhöhe des Schalls aus dem einen Lautsprecher ist konstant, während sich die Tonhöhe des anderen Lautsprechers als Reaktion auf Impulse eines Geigerzählers, der zufällige Änderungen der Hintergrundstrahlung misst, ändert. Die Töne vermischen sich, um einen niedrigeren Interferenzton zu erzeugen, der von überall her zu kommen scheint.

Am 17. Juli 2020 wird die umfassende Einzelpräsentation von Tommi Grönlund und Petteri Nisunen im Minsheng-Kunstmuseum in Shanghai eröffnet und wird bis Ende November zu sehen sein. Die Ausstellung, die durch die jüngsten Schließungen verzögert wurde, erstreckt sich über die gesamte Ausstellungsfläche des Museums von 2.500 Quadratmetern auf zwei Etagen und zeigt mehr als zwanzig Werke, hauptsächlich großformatige Installationen, die Kinetik, Licht und Ton nutzen. Die Auswahl der Werke erstreckt sich über die gesamte künstlerische Laufbahn, einschließlich neuer standortspezifischer Werke, die speziell für den Museumsraum geschaffen wurden. Einleitend veröffentlichen wir ein Interview mit Tommi Grönlund und Petteri Nisunen und Auszüge aus John Peter Nilssons Essay über das Werk der beiden Künstler. Der Text erschien erstmals in Grönlund-Nisunen, Grey Area, veröffentlicht anlässlich ihrer Einzelausstellung 2017 in Taidehalli Helsinki.
1. Wo und wann hat Ihre gemeinsame künstlerische Arbeit begonnen?

Unsere erste gemeinsame Ausstellung hatten wir 1993 in der Galerie Titanik in Turku. Zuvor hatten wir jedoch bereits bei verschiedenen Architektur- und Kunstprojekten und Wettbewerben zusammengearbeitet. Wir lernten uns Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre während unseres Studiums an der Fakultät für Architektur an der Technischen Universität Tampere kennen. Am Ende unseres Studiums erwarben wir ein Atelier in Helsinki und gründeten später mit unseren drei Kommilitonen a.men architects Ltd. Wir interessierten uns für diverse Projekte, die sich zwischen Kunst, Architektur und Design bewegten, und wir gingen allmählich von der Arbeit eines Architekten zu der eines Künstlers über.

2. Warum interessieren Sie sich für Raum, Bewegung, Sound und Licht?

Wahrscheinlich vor allem, weil sie alle wesentliche Elemente der Architektur sind. Wir nehmen Raum nicht nur durch das Sehen, sondern auch durch Hören und Berühren wahr, und Bewegung ist auch ein zentrales Element in der Wahrnehmung einer Raumerfahrung.
In unseren Werken ist der Verwendung von Sound und Licht oft mit der Wahrnehmung von Raum verbunden, und Bewegung bringt ein zeitliches Element in die Werke ein. Wir sind auch an diesen Dingen als reinen Phänomenen interessiert, und in manchen Kontexten versuchen wir, sie so neutral wie möglich zu betrachten, ohne den räumlichen Aspekt besonders zu betonen.
Neben unserer kollaborativen Praxis hat Tommi seine eigene Beziehung zum Sound, die er durch die Veröffentlichung von Musik über sein Plattenlabel Sähkö Recordings realisiert.

3. Wie ist die Arbeitsteilung bei der Ausführung der Arbeiten?

Unsere Arbeitsteilung ist ziemlich chaotisch und variiert immer je nach Situation.
Wir machen gemeinsam und getrennt Skizzen und denken uns mit Hilfe von einfachen Prototypen verschiedene Möglichkeiten aus, etc. Die endgültige Form eines Werkes wird oft davon bestimmt, was in der jeweiligen Situation und im Rahmen des verfügbaren Budgets möglich ist.
Die Arbeit wird fortgesetzt, um die notwendigen Konstruktionszeichnungen zu erstellen und geeignete Subunternehmer zu finden. Dies war oft eher meine Sache, während Tommi eher für den gleichzeitigen Kauf von Hardware, die Bearbeitung von Audiodateien usw. zuständig ist. Aber selbst in dieser Hinsicht variieren die Rollen immer je nach Situation.
In der Schlussphase der Arbeit laufen wir zu verschiedenen Subunternehmern, die die Details aushandeln, usw.
Sobald die Bestandteile und die Technologie der Arbeit beschafft/in Auftrag gegeben/erledigt sind, folgt das Testen der Arbeit. Aufgrund der Größe der Werke ist dies oft nur im Ausstellungsraum selbst möglich, so dass Änderungen bis in die letzten Minuten möglich sind. Im Laufe der Zeit haben wir uns bereits daran gewöhnt. Durch die Art und Weise, wie wir arbeiten, lernen wir beim Aufbau von Ausstellungen oft neben Kuratoren und Museumsdirektoren auch die technischen Mitarbeiter gut kennen.

4. Wie lösen / klären Sie Fragen im Zusammenhang mit der technischen Umsetzung Ihrer Werke?

In der Prototyp-Phase haben wir verschiedene technische Möglichkeiten in Betracht gezogen, um das, was wir gerade machen, jederzeit umzusetzen. In dieser Phase war und ist unser technischer Assistent Jari Lehtinen oft noch aktiv beteiligt. Wenn wir eine Idee in unserem Kopf haben, rufen wir ihn oft an und fragen ihn, ob sie umgesetzt werden kann. Seine typische Antwort ist, dass man es versuchen sollte. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung auf diesem Gebiet sagt er uns manchmal, dass jemand anderes im technischen Sinne vor Jahren fast ähnliche Arbeit geleistet hat, was in der Regel bedeutet, dass wir die Idee fallen lassen.
Neben ihm arbeiten wir auch mit mehreren anderen Subunternehmern zusammen. Im Laufe der Jahre haben wir gelernt, uns die Ansichten der Subunternehmer darüber anzuhören, wie ein bestimmtes Detail am besten zu realisieren ist. Verhandlungen mit ihnen können zu bedeutenden Veränderungen führen. Wichtig bei der Auswahl von Subunternehmern ist, dass sie am Ganzen interessiert sind und nicht nur daran, ihre eigene Arbeit so effizient wie möglich auszuführen.

Grönlund-Nisunen, Orbita, 2005/2018, eine Kugel aus Edelstahl, Schienen aus Edelstahl, elektrische Linearantriebe, Schalter, eine Glühbirne, Stromkabel, 7 x 7 x 0.5 m
Ausstellungsansicht: Grönlund-Nisunen, Flow With Matter, Minsheng Art Museum, Shanghai, 2020
Photo © Shanghai Minsheng Art Museum

Eine Kugel aus rostfreiem Stahl mit einem Durchmesser von 35 cm bewegt sich langsam auf einer kreisförmigen Edelstahlschiene. Eine einzelne Glühbirne in der Mitte des Kreises wirft einen Schatten der sich bewegenden Kugel auf die umgebenden Wände. Die Geräuschkulisse, die durch die Bewegung der Stahlkugel entsteht, ist im Raum sehr präsent. Die kontinuierliche Bewegung der Kugel wird durch Schwerkraft und minimale Reibung aufrechterhalten. Drei elektrische Heber, die in etwa gleichem Abstand voneinander angeordnet sind, ziehen die Bahnen unmittelbar nach dem Passieren der Kugel zusammen, heben die Kugel ein wenig an und lassen sie so bergab laufen, wo die Schienen breiter sind.

Transformationen
Von John Peter Nilsson

(….)

Ursprünglich hatte ich daran gedacht, Tommi Grönlund und Petteri Nisunen als eine Art technologische Mystiker zu präsentieren. Der Mystik ist ein anderes Verständnis der Wirklichkeit inhärent als die, in der wir leben, eine Auffassung mit einer Definition, die nicht natürlich, sondern übernatürlich ist und die nur als "Instinkt", "Intuition", "Offenbarung" oder eine Form von " einfach Wissen" wahrgenommen werden kann. In ihrem Aufsatz "Gegen die Interpretation" von 1966 schreibt die Autorin und Debattiererin Susan Sontag beispielsweise, dass eine Interpretation die Gefahr birgt, die sinnliche Erfahrung eines Kunstwerks als selbstverständlich hinzunehmen. "Was jetzt wichtig ist", schreibt Sontag, "ist unsere Sinne wieder zu entdecken. Wir müssen lernen, mehr zu sehen, mehr zu hören, mehr zu fühlen".

Aber die Sinneswahrnehmung muss nicht unbedingt auf einer mystischen Vorstellung beruhen. Es gibt auch eine rationale, fast systematische Seite in Grönlunds und Nisunens künstlerischer Arbeit. Im Jahr 2001 kuratierten sie die Ausstellung The North is Protected im Nordischen Pavillon auf der Biennale von Venedig, an der sie selbst zusammen mit Leif Elggren, Carl Michael von Hausswolff und Anders Tomren teilnahmen. Das Ganze war geradezu ein Gesamtkunstverk, diskret und minimalistisch, und doch stand das markante Gebäude des Architekten Sverre Fehn aus dem Jahr 1962 (Grönlund und Nisunen studierten beide Architektur) in einer Weise im Vordergrund, die das Ganze komplementierte.

Grönlund-Nisunen, Pneumatic Landscape, 2004/2020, Polyestergewebe, Spanplatte, Holz, Ventilatoren, digitaler Dimmer, Computer, 24,4 11,0 x 3,5 m
Ausstellungsansicht: Grönlund-Nisunen, Flow With Matter, Minsheng Art Museum, Shanghai, 2020
Photo © Shanghai Minsheng Art Museum

Die neue standortspezifische Version der Arbeit für das Minsheng Art Museum nutzt und betont die Einzigartigkeit der Hauptausstellungshalle des Museums. Das pneumatisch abstrakte Landschaftsmodell, verändert langsam Größe und Form. Geräuschlose Ventilatoren erzeugen einen Luftdruck, der die Form des dünnen Polyestergewebes aufrechterhält. Ein digitales Zeitschaltersystem schaltet die Ventilatoren regelmäßig für mehrere Minuten ab, während dessen die Höhen der Landschaft langsam zusammenfallen und etwa ein Drittel ihres Volumens verlieren, bevor sie sich wieder füllen.

Die Arbeit von Grönlund und Nisunen bestand aus etwa dreihundert Stahldrähten, die entlang einer Wand des Pavillons gespannt waren. Die Drähte bewegten sich unregelmäßig, so dass eine Art optische Täuschung entstand, als ob die Wand ebenfalls in Bewegung wäre. Als Ganzes betrachtet, war es offensichtlich, dass die vier Künstler eng zusammengearbeitet hatten. Von Hausswolffs und Elggrens Sampling aller hörbaren lokalen fm-Radiosender, umgewandelt in Tonfrequenzen im Raum, könnte die Quelle für die Bewegungen der Drähte sein. Und wenn wir durch Tomrens intermittierend durchsichtige Glasscheiben blickten, war der Ausstellungsraum subtil verzerrt. Den Kuratoren/Künstlern Grönlund und Nisunen, zusammen mit von Hausswolff, Elggren und Tomren, gelang es nicht nur, einen integralen Eindruck zu schaffen, sondern auch den architektonischen Kontext in die Erfahrung mit einzubeziehen.

Betrachtet man das gesamte Oeuvre von Grönlund und Nisunen, so stellt man fest, dass sie immer wieder auf die Art und Weise zurückkommen, wie der Kontext des Raumes gegen verschiedene Arten von Körperlichkeit ausgespielt wird. Darüber hinaus haben viele der Werke Zeit als gemeinsamen Nenner. Es entfaltet sich ein Prozess, der teils durch die Interaktion mit den Besuchern, teils durch die Werke selbst entsteht. Natürlich haben Grönlund und Nisunen in den mehr als dreißig Jahren, in denen sie als Künstler tätig sind, in einer Vielzahl unterschiedlicher Materialien und Techniken gearbeitet. Aber überraschend oft geht es dabei um Elektrizität, Sound und Licht - eigentlich eine Art Poesie aus Elektrizität, Sound und Licht.

Grönlund-Nisunen, LED Horizon, 2020 (Detail), blinkende weiße LEDs, kupferüberzogener Stahldraht, Edelstahldraht, Edelstahl-Gegengewichte, Edelstahlstrukturen, Stromquellen, Elektrokabel, 24,3 x 1,3 x 0,5 m
Ausstellungsansicht: Grönlund-Nisunen, Flow With Matter, Minsheng Art Museum, Shanghai, 2020
Photo © Shanghai Minsheng Art Museum

Diese standortspezifische Installation wurde speziell für den Korridor im Erdgeschoß des Minsheng Art Museum entworfen. Zwei Paare dünner, kupferüberzogener Stahldrähte sind zwischen Stahlsäulen an beiden Enden des Korridors gespannt. Eine Reihe blinkender weißer LEDs ist an beide Paare kupferüberzogener Stahldrähte, einen Minus- und den anderen Pluspol, gelötet und bildet zwei parallele Linien blinkender Lichter.

Grönlund und Nisunens künstlerisches Oeuvre steht in einem interessanten Verhältnis zu McLuhans Darstellung. Ihr Interesse an industriellen Materialien und technischen Lösungen verschiedenster Art ist keine nostalgische Sehnsucht nach irgendeinem Maschinenzeitalter. Materialien und Technologien werden von ihren ursprünglichen Zwecken losgelöst und frei in neuen Bedeutungen eingesetzt. Aber nicht in irgendeinem mystischen Sinn, wie ich anfangs fälschlicherweise vermutete. Vielmehr evozieren die Werke subtile Sinneszustände.

Ein klassischer Anspruch ist, dass gute Kunst die Sinne schärft. Im Fall von Grönlund und Nisunen ist dies besonders deutlich. Wir sehen ihre Werke nicht. Wir erleben sie. Mit all unseren Sinnen. Aber diese Werke sind trügerisch. Es gibt einen Hauch von Industrietechnologie in ihren Installationen, der unsere Gedanken zu rationalen, erklärenden Interpretationen veranlassen kann. Aber für mich nutzen sie die Technologie zu einem entgegengesetzten Zweck. Mit Elektrizität, Sound und Licht als ihren Eckpfeilern schaffen ihre Installationen eine Präsenz; ich werde extrem spürbar präsent, wenn ich vor oder in ihren Werken stehe.

Grönlund-Nisunen, Spring Field, 2012, Schraubenfedern, Magnetspulen, Messingdraht, Stahlbefestigungen, Elektrokabel, Steuereinheit, Stromversorgung, Maße 2,5 x 2,5 x 5,5 (vorne rechts)
Ausstellungsansicht: Grönlund-Nisunen, Flow With Matter, Minsheng Art Museum, Shanghai, 2020
Photo © Shanghai Minsheng Art Museum

A total of 50 long coil springs are stretched vertically between floor and ceiling. On the floor next to each coil spring is a solenoid. A grid made of brass wire was stretched along the floor, in line with the grid of coil springs. The wires stretched in one direction have a positive charge, while those stretched at right angles to them have a negative charge. If there is a solenoid where the two wires cross, it is turned on and hits the coil spring, making it resonate. The springs continue to resonate for some time, keeping the whole installation vibrating. The sharp clicking sounds made by the solenoids produce a random, but clear rhythm.

Wenn wir das künstlerische Werk Grönlunds und Nisunens zusammenfassen wollen, sollten wir dies vielleicht am besten über die Phänomenologie tun. Sie sind fasziniert von den Realitäten des Seins und neugierig auf die alltäglichen Phänomene des Daseins. Sie machen immaterielle Phänomene wie Sound und Licht wahrnehmbar, während sie gleichzeitig technologische Mechanismen auf einfache, handfeste und klar ausgeführte Weise offenbaren. Zweifellos bin ich von der Art und Weise, wie sie ihre Werke konstruiert haben, zutiefst fasziniert. Aber ich sehe dies nicht als den zentralen Punkt ihrer Kunst an. In einer irgendwie magischen Weise werden ihre Konstruktionen in subtile Formen der sinnlichen Erfahrung verwandelt, die meine eigene Wahrnehmung verfeinern. Ich sehe die Welt ganz einfach mit Hilfe der Kunst von Tommi Grönlund und Petteri Nisunen viel besser.

Den vollständigen Text finden Sie in Grönlund-Nisunen, Grey Area, 2017. Siehe unten für Informationen zur Bestellung.

Grönlund-Nisunen, Electromagnet Installation, 1997, sandgestrahlte Stahlplatten, Edelstahlstäbe, Elektromagnete, Steuereinheit, Magnettreibereinheiten, Infrarotsensoren, eine Stromversorgung, Maße variabel
Ausstellungsansicht: Grönlund-Nisunen, Flow With Matter, Minsheng Art Museum, Shanghai, 2020
Photo © Shanghai Minsheng Art Museum

Acht sandgestrahlte Stahlplatten hängen von der Decke des Ausstellungsraums. Elektromagnete, an der Unterseite jeder Stahlplatte befestigt, sind über eine Steuereinheit mit einem Infrarotsensor verbunden. Wenn ein Sensor eine menschliche Anwesenheit feststellt, beginnt die Steuereinheit, den elektrischen Strom schnell auf den Magneten an und ab zu schalten, was die Platte zum Schwingen bringt. Die Bewegungen des Publikums bewirken, dass die neun Platten - jede in einer anderen Phase - eine sich ständig verändernde Geräuschkulisse im Ausstellungsraum erzeugen.

 

Simon Fujiwara 2020 Seoul Photo Festival, Seoul

Simon Fujiwara, Joanne, 2016/2018, drei freistehende aluminiumverkleidete Strukturen: eine mit eingebauten LED-Monitoren, die Video (Spieldauer 12:06 min) und Digitaldruck zeigen, zwei Leuchtkästen mit Digitaldrucken auf Folie. Maße variabel, Spieldauer 12:06 min (Video), im Auftrag von FVU, The Photographers' Gallery und Ishikawa Foundation, unterstützt vom Arts Council England.
Ausstellungsansicht: Simon Fujiwara, Joanne, ARKEN Museum für Moderne Kunst, Ishøj, 2019
Photo © David Stjernholm

2020 Seoul Photo Festival
UnPhotographical Moment
SeMA, Buk Seoul Museum of Art, Seoul
14. Juli - 16. August 2020

Simon Fujiwara nimmt mit seiner Arbeit Joanne am 20. Seoul Photo Festival teil. Die Gruppenausstellung läuft vom 14. Juli bis 16. August im Buk Seoul Museum of Art. Mit dem diesjährigen Thema UnPhotographical Moment wollen die Organisatoren Werke hervorheben, die die ursprüngliche Bedeutung einer Fotografie des Jetzt erforschen und sich auf das konzentrieren, was für uns ein "Alltagsbild" ist. Die teilnehmenden Künstler*innen sind Simon Fujiwara, Masashi Sanai, Stone Kim, Jeongnam Goh, Siyoung Jun, Heakyung Ham, Yeji Hwang, Minkyu Seo, Anna Fox, Walid Raad's the Atlas Group, Sophie Calle, Catherine Opis.

Weitere Informationen finden Sie HIER (auf Koreanisch, die englische Seite wird in Kürze aktualisiert)
 

The Reading Corner

<b>Anri Sala</b><br>

Anri Sala

Bendings: Four Variations on Anri SalaPeter Szendy, 2019
Verlag: Edition Mudam Luxembourg, Mousse Publishing
Sprachen: Englisch, Französich

Available here

<b>Anri Sala</b><br>

Anri Sala

As You Go
Verlag: Skira
Sprachen: Englisch, Italienisch

Available here

<b>Grönlund-Nisunen</b><br>

Grönlund-Nisunen

Grey Area
Texte von Mikko Heikkinen, Petri Kuljuntausta, John Peter Nilsson, edited von Pirkko Tuukkanen, 2017
Verlag: The Finnish Art Society
Sprachen: Englisch / Finnisch / Schwedisch

Available here