Ein wöchentlicher digitaler Überblick
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Brief aus Berlin / Letter aus Berlin

 

Willkommen!

Willkommen zu unserem Brief aus Berlin!

Diese Woche konzentrieren wir uns in unserem Brief aus Berlin auf Filme. Da dies ein Feiertagswochenende in Deutschland ist, haben wir ein umfangreiches Programm zusammengestellt, das das Format eines Magazins aufgreift. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Durchblättern der Rubriken. Die Filme sind bis Sonntagnacht (Berliner Zeit) zu sehen.

In einem Postscript zur Buchausgabe der letzten Woche stellt Etienne Chambaud ein weiteres Format von Filmen über Bücher vor: den Film über ein Buch über einen Film.

Wir schließen mit der Zusammenfassung der Beiträge unserer Künstler in den sozialen Medien dieser Woche.

Alles, was Sie vielleicht in unseren Social Media-Kanälen verpasst haben, finden Sie auf Continuity, unserer digitalen Plattform.

Lesen Sie dies bei guter Gesundheit.
 

Ein Magazin der Filme

Nennt mich nur eine Formalistin

Ich habe einen gewissen Faible für das Konzept der Mediumspezifität. Es interessiert mich, warum Künstler in einem bestimmten Medium arbeiten, selbst die Wahl bestimmter Materialien finde ich spannend: warum sie Beton verwendet und er bestimmte Arten von Metall bevorzugt. Manchmal verbergen sich hinter diesen Entscheidungen Geschichten, die eine neue Perspektive auf ihr Gesamtwerk eröffnen. Manchmal ist es einfach was grade zur Verfügung stand, und in diesem Moment für ein bestimmtes Projekt am besten funktionierte. (Und manchmal spüre ich die leichte Irritation, die meine nachhakenden Fragen bei Künstlern auslösen können, als sei ich dabei, eine absichtlich ungelöste Spannung zu ordentlich erklären zu wollen).

Aber das Streben nach Medienspezifität ist ein schuldbewusstes Vergnügen. Es ist unbeliebt und vielleicht aus guten Gründen: die traditionellen Definitionen dessen, was, sagen wir, ein Gemälde, eine Skulptur oder eine Ausstellung ist und sein kann, sind nicht mehr gültig. Ein Medium gegen den Strich seiner charakteristischen Eigenschaften zu verwenden oder das, was früher als seine Einschränkungen angesehen wurde, kann zu unglaublich interessanten und subtilen Werken führen. Die Ausstellung selbst wird von vielen Künstlern der Galerie als ein Medium angesehen, das sie radikal neu formuliert haben.

Es macht daher durchaus Sinn, dass, während die Künstler in der Galerie in einem breiten Spektrum von Medien arbeiten, ihre Auseinandersetzung mit dem bewegten Bild auch viele Formen annimmt, und innerhalb ihrer Praxis auf unterschiedliche und spezifische Weise fungiert.

Dieses Magazin der Filme - mit dem eine exklusive wöchentliche online Filmpräsentation beginnt, die in absehbarer Zukunft jedes Wochenende stattfinden wird - trägt dieser Hybridität spielerisch Rechnung und präsentiert eine Auswahl von Arbeiten, die das bewegte Bild geschickt einsetzen, um verschiedene Themen und Formate zu behandeln. Die Rubriken sind mit einer gewissen Verspieltheit zugeordnet und nicht allzu ernst zu nehmen. Dennoch möchte das Format die Aufmerksamkeit auf die Erweiterung des Mediums lenken.

—Isabelle Moffat
 

Editorial

Roman Ondak, Lucky Day, 2006, 16 mm Film (Farbe, stumm), 04:00 Min Spieldauer (Schleife)

Editorial: Roman Ondak, Lucky Day, 2006

Mit Lucky Day erkundet Roman Ondak die zeitgenössischen Möglichkeiten des Pilgerns in einem säkularen Kontext. Der Film folgt einem Mann, der eine große Anzahl Münzen in einen Brunnen wirft, um in einer etwas grandiosen Geste Glück zu erbitten. Als solches stellt das Werk die individuelle Handlungsfähigkeit gegen institutionalisierte Glaubenssysteme auf die Probe. Auch wenn die Handlung von einer weltlichen Annäherung an die Idee des göttlichen Schutzes zu zeugen scheint, so evoziert sie doch auch ein kindliches Vertrauen in die Wirkung der Quantität leidenschaftlicher Wünsche.

Der Film wurde in Santiago de Compostela gedreht, einem zentralen historischen Wallfahrtsort seit dem Mittelalter, der auch heute noch viel besucht wird. Der Brunnen, in den der Protagonist des Films die Münzen ergießt, ist der Brunnen der Praza de Fonseca. Er ist keinem bestimmten Heiligen geweiht, aber Einheimische behaupten, sein Wasser habe heilende Eigenschaften und könne vor Blindheit schützen.
 

Interview/Porträt

Interview/Porträt: Tomás Saraceno, TED-Talk, 2017

Der TED-Vortrag von Tomás Saraceno, der 2017 gehalten wurde, war Teil des Segments Connection and Meaning auf der jährlichen TED-Konferenz in Vancouver.

Wie die TED-Organisatoren es ausdrückten:
In einem bewegenden Vortrag, der die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst verwischt, stellt Tomás Saraceno eine Reihe von luftinspirierten Skulpturen und Installationen aus, die eine neue Ära der Nachhaltigkeit einläuten sollen, das "Aerocene". Von riesigen, wolkenähnlichen Spielplätzen, die 22 Meter hoch in der Luft schweben, bis hin zu einer Ballonskulptur, die um die Welt reist, ohne auch nur einen einzigen Tropfen fossiler Brennstoffe zu verbrennen, lädt uns Saraceno mit seinen Arbeiten dazu ein, die Grenzen unserer zerbrechlichen menschlichen und terrestrischen Ökosysteme zu erforschen".
(Auf Spanisch mit englischen Untertiteln. Der transkribierte deutsche Text ist auf der verlinkten TED Talk Webseite erhältlich.)
 

Architektur

Christopher Roth, Blow Out (The Film), 2016, HD Film (Farbe, Ton), 10:04 Min Spieldauer

Architektur: Christopher Roth, Blow Out (The Film), 2016

Blow Out wurde größtenteils in und um die La Cupola des Architekten Dante Bini gedreht, eine kuppelartige Struktur, die für den italienischen modernistischen Filmemacher Michelangelo Antonioni und seine Geliebte, die Schauspielerin Monica Vitti, gebaut wurde. Der Film beschwört die Geschichte des Gebäudes herauf, das für ein Paar gebaut wurde, das sich vor seiner Fertigstellung trennte - während drei Frauen den Ort zu besuchen scheinen, verschwinden und wieder auftauchen.

Trotz ihres offensichtlichen Altersunterschieds besteht eine deutliche Ähnlichkeit zwischen den drei weiblichen Figuren, was eine zeitliche Verschiebung begünstigt: Vitti wird in einem Interview aus den 1960er Jahren gezeigt, während eine Frau ähnlichen Alters von der Terrasse des inzwischen verfallenen Gebäudes hinausblickt und durch das Innere mit seiner zentralen, erotisch aufgeladenen Treppe wandert, die von Antonioni als eine Art Display für seine schöne Geliebte konzipiert wurde. Die dritte Frau, Vera Lehndorff, tritt in drei Gestalten auf: als junge Schauspielerin, die unter ihrem Künstlernamen Veruschka in kurzen, aber ikonenhaften Szenen in Antonionis Blow Up von 1966 die Hauptrolle spielte, als sie selbst um 2015, und als miniaturisierter 3D-Scan in dem Kostüm aus dem Antonioni-Film.

Die Übertitel haben eine hypnotische Qualität, verleihen dem Film aber auch eine lockere Erzählstruktur, beginnend mit der ersten direkten Anrede: "Dear Antonioni...", hier in Anlehnung an den Text von Roland Barthes von 1980 über das Werk des Regisseurs.

Der Film konstruiert ein dicht gewebtes Assoziationsgeflecht mit einer Besetzung von Charakteren, die Schauspielerinnen, Architekten, Regisseure und Philosophen in einer ständigen zeitlichen Verschiebung umfasst, die jedoch alle irgendwie mit dem verfallenden Gebäude an der sardischen Küste verbunden sind.

 

Geschichte

Etienne Chambaud, Counter-History of Separation, 2010, mit Vincent Normand, HD Video (Farbe, Ton),
52 Min Spieldauer

Geschichte: Etienne Chambaud, mit Vincent Normand, Counter-History of Separation, 2010

Der Film Counter-History of Separation, der gemeinsam mit Vincent Normand geschrieben wurde, ist ein ehrgeiziger Dokumentarfilm, der unter der Schreckensherrschaft beginnt und gleichzeitig die Erfindung der Guillotine als Massenexekutionsgerät und die Schaffung des Prototyps des modernen Museums mit der Eröffnung des Muséum central des arts de la République, der ersten öffentlichen Sammlung und Vorfahrin des Louvre, erleben sollte. Die Zeitspanne findet ihren Schlusspunkt in 1977, als die letzte Enthauptung durch die Guillotine in Frankreich stattfand und das Centre Pompidou, ein neues Museumsparadigma, eingeweiht wurde.

Der Film hat die Form eines animierten Stop-Action-Videos. Während eine narrative Erzählung in mehreren speziell thematisierten Abschnitten durch die Geschichte führt, kann man zwei Hände sehen, die Bilder, ausgeschnittene Illustrationen und andere Objekte auf einer Oberfläche manipulieren, die als Bildschirm, Vorder- und Hintergrund fungiert. Text und visuelle Erzählung laufen synchron und asynchron weiter. Beide weben ein komplexes Netz aus textlichen, kulturellen und historischen Referenzen. Das Voiceover wurde während einer Performance im Centre Pompidou aufgenommen.

Unten finden Sie den Text von Etienne Chambaud und das Buch zum Film!

 

Science-Fiction

Dominique Gonzalez-Foerster, Noreturn, 2009, HD Film (Farbe, Ton, 16:9 Format), 16 Min Spieldauer
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Science-Fiction: Dominique Gonzalez-Foerster, Noreturn, 2009

Eine Gruppe von Kindern in Schuluniform betritt einen Ausstellungsraum, in dem Etagenbetten in geordneten Reihen zwischen riesigen Skulpturen aufgestellt sind. Zuerst aufgeregt, spielend und herumalbernd, beginnen die Kinder schließlich, sich zu beruhigen und rennen unter einer riesigen Henry Moore-Skulptur Schutz zu suchen. Bei einem Fangenspiel beginnen sie "Noreturn"/"Noreturn?" zu flüstern.

Der Film entstand inmitten von TH. 2058, Dominique Gonzalez-Foersters groß angelegter Installation für die Turbinenhalle der Tate Modern im Jahr 2008. TH. 2058 blickt 50 Jahre in die Zukunft, als die Einwohner Londons in der Turbinenhalle Schutz vor einem nicht enden wollenden Regen gefunden haben. Unter dieser Prämisse sind auch die öffentlichen Skulpturen im Freien vom fantastischen Effekt des Regens betroffen: sie wurden um 125% vergrößert. Repliken ikonischer Werke von Louise Bourgeois, Alexander Calder, Henry Moore, Bruce Nauman, Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen füllen die Halle. 200 Etagenbetten, auf denen Bücher verstreut sind, sind in geordneten Gittern aufgestellt. Auf einer großen LED-Leinwand an einem Ende des Raumes laufen Ausschnitte aus Science-Fiction- und Experimentalfilmen, während grelle Lichter eine unsichtbare Überwachung suggerieren.

 

Natur

Christoph Keller, Storni Morti, 2018, Einzelkanal Digital-Video (Farbe, Ton), 15 Min Spieldauer

Natur: Christoph Keller, Storni Morti, 2018

Am 30. Januar 2018 fielen Hunderte von toten Staren vom Himmel, gleichzeitig in verschiedenen Teilen der Stadt Rom. Das Video von Christoph Keller nimmt dieses Ereignis zum Ausgangspunkt: Während er versehentlich nachts auf dem Friedhof von Campo Verano eingeschlossen war, filmte der Künstler das dramatische Flugmuster tausender Stare in der Abenddämmerung. Das Filmmaterial ist mit dem Interview von Francesca Manzia, einer Naturschützerin des LIPU (Wildlife Recovery Center), kombiniert. Die Anwesenheit des Künstlers ist nie zu spüren, weder beim Filmen des hektischen Fluges der Vögel noch bei der Aufnahme von Manzia, was dem Argument der Naturschützerin entspricht, dass der Mensch nicht in das Ökosystem der Vögel eingreifen sollte.

Christoph Kellers Werk ist eine Auseinandersetzung mit der Wissenschaftsgeschichte und der Art und Weise, wie Wissen gesammelt und organisiert wird. Langfristige Projekte betreffen z.B. die Anthropologie (insbesondere die Geschichte des westeuropäischen Engagements im Amazonasgebiet), die Grenzwissenschaft und die Parapsychologie.

 

Musik

Nathan Carter, The DRAMASTICS are Loud, 2016, HD Film (Farbe, Ton), 27:25 Min Spieldauer

Musik: Nathan Carter, The DRAMASTICS are Loud, 2016

The Dramastics are Loud ist eine überschwängliche musikalische Hommage an die Kühnheit der Selbsterfindung und an die Höhen und Tiefen der Freundschaft. Nathan Carter konzipierte die Geschichte, entwarf die Figuren, ihre Kleidung, alle Requisiten und Kulissen und schuf ganze Straßenlandschaften. Der Film folgt vier jungen Frauen, die eine fiktive Punkband gründen. Der Soundtrack besteht aus Dialogen, Soundeffekten und Musik, die von Carter und einer Reihe von Mitarbeitern und Freunden aufgeführt werden.

Die Produktion des Films nahm eine fröhliche Dimension an, und betont somit einen gemeinschaftlichen Aspekt, der in Carters Werk seit langem präsent ist: "Die Aktivität des Weltaufbaus fühlte sich an wie das Erfinden und Spielen mit Punk-Puppen in ihrem Punk-Puppenhaus. Der gesamte Prozess, das Improvisieren und Bauen und das Aufnehmen und Filmen, war wie das Einspielen einer DIY-"basement" Aufnahme. Alles sah unmittelbar, schnell, locker und laut aus und klang auch so. Akribisches Handwerk trat vor Begeisterung in den Hintergrund".

Die generöse Haltung von Nathan Carters Werken und seinen Ausstellungen als ausgelassene Events verkörpert die überschwängliche Atmosphäre, die mit Jugendkultur assoziiert wird, doch im Zentrum seines Schaffens steht die exzessive Kraft der Kultur im Allgemeinen, die Verausgabung kreativer Energie als Gabe - Großzügigkeit als anarchistische Geste.

 

Beauty/Fashion

Simon Fujiwara, Joanne, 2016, HD Video (Farbe, Ton), mit Installation, 12:06 Min Spieldauer

Beauty/Fashion: Simon Fujiwara, Joanne, 2016

Das Thema des Films ist Joanne Salley, eine ehemalige Kunstlehrerin von Simon Fujiwara an der High School von 2000 bis 2002. Als Gewinnerin des Miss Northern Ireland-Schönheitswettbewerbs 1998, Künstlerin, Lehrerin und Boxmeisterin hatte Joanne einen prägenden Einfluss auf Fujiwara, während seiner Zeit als Stipendiat an der renommierten Harrow School für Jungen in Großbritannien. Einige Jahre später wurde Joanne Opfer eines Skandals in einer Boulevardzeitung, nachdem Schüler Oben-ohne-Fotos von ihr entdeckt und in Umlauf gebracht hatten, die privat aufgenommen worden waren. Die darauffolgende anhaltende Medienkampagne zerstörte ihre Karriere und ihr öffentliches Image.

Im Jahr 2016 begannen Fujiwara und Joanne mit der Produktion eines Kurzfilms, der durch den Einsatz von Werbe- und Marketingtechniken ihr Image wiederherstellen sollte. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, war ihrer Meinung nach, der Versuch, die neuen Möglichkeiten der sozialen Medien zu nutzen: ein Bereich, in dem Emotionen leicht geteilt werden können. Doch in einer Welt, in der die vollständige Selbstenthüllung als Markenzeichen für Authentizität und Verwandtschaft geschätzt wird, ist sich Joanne bewusst, dass sie den Ansprüchen ihres neuen Publikums mit einer anderen Form der Enthüllung gerecht werden muss - diesmal mit einer emotionalen. Verschwörend und verwirrend, transparent manipulativ, aber auch wirklich bewegend, gibt Joanne (der Film) nicht vor, die Frau Joanne zu porträtieren.

Der Film wird in der Regel als Teil eines Environments präsentiert, das aus einer Reihe von freistehenden Leuchtkästen besteht, die Joanne in sportlicher Bekleidung, oft in gewohnten Posen, darstellen - ein künstlicher Naturalismus, der in Werbekampagnen zum Topus geworden ist.
 

Essen

Karin Sander, Brot / Bread, 2019, Video (Farbe, Ton), 4:20 Min Spieldauer (loop)
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Essen: Karin Sander, Brot / Bread, 2019

Das kurze, geloopte Video zeigt ein rotierendes Objekt hinter einer Bildfläche mit kleinen runden Öffnungen. Das Video beginnt mit der diffusen Form - die wie das titelgebende Brot erscheint - in einem beleuchteten Raum, der sich im Uhrzeigersinn dreht. Auf halbem Weg erlischt das Licht und man hört die charakteristische Glocke eines Mikrowellenofens. Wenn das Licht wieder angeht, dreht sich das Objekt in die entgegengesetzte Richtung: gegen den Uhrzeigersinn. Das Objekt scheint sich langsam aufzulösen. Am Ende erlischt das Licht wieder und die Glocke ist wieder zu hören.

Die Arbeit spielt mit der optischen Täuschung, die durch den Sichtschutz erzeugt wird, der die Bilder buchstäblich in pixelähnliche Teile auflöst, während die Mikrowelle das Brotstück in einen feurigen Block zu verwandeln scheint, der sich in Rauch und Flammen auflöst.

Sanders Video spielt mit alltäglichen Erfahrungen und fügt ein verfremdendes Element hinzu, welches die Aufmerksamkeit auf die Subjektivität der Wahrnehmung und ihre leichte Manipulierbarkeit lenkt. Darüber hinaus ist ihr Video eine Art Exerzitium einer impressionistischen, oder im erweiterten Sinne, digitalen Zerlegung eines Bildes in Farbkleckse, Punkte oder Pixel.
 

Impressum

Ceal Floyer, Untitled Credit Roll (CMIYC), 2013, Video Projection, 04:47 Min Spieldauer (loop)
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Impressum: Ceal Floyer, Untitled Credit Roll (CMIYC), 2013

Das Video zeigt den Abspann eines Films, aber die Titel und Namen sind unscharf. Wo die Namen standen, kann man lediglich dicke weiße Bänder erkennen, wie Reihen von Haufenschichtwolken (Stratocumulus) auf einem dunklen Hintergrund. Die Projektion erweckt den Eindruck schwebender weißer Nebelschichten, da die hellen Bereiche vor den Augen des Betrachters zusammenlaufen und der von der Künstlerin geschaffenen Unschärfe eine tatsächliche Verschwommenheit hinzufügen.
Floyer wählte Abspannrollen aus einem tatsächlichen Film: Catch Me If You Can. Ihre Arbeit jedoch macht den Film "Untitled" und all seine Mitwirkenden anonym. Dieser Akt des Unkenntlichmachens erinnert an die Zensur von Geheimnissen in offiziellem, deklassiertem Material, aber die Künstlerin kehrt den Prozess nicht nur visuell um, da diese Dokumente normalerweise geschwärzt werden, sondern auch durch das Löschen der Namen von Personen, die um Anerkennung und öffentliche Aufmerksamkeit bemüht sind.

Für den Besucher, der auf das Video trifft, ist die Situation unklar: Es scheint so, als käme man am Ende eines Films herein, aber alle Informationen sind unleserlich gemacht worden. Es gibt keinen "echten" Film, auf den man warten könnte, da sich die ausgelöschte Abspannrolle wiederholt. Ausnahmsweise konzentrieren wir uns jedoch einmal ganz bewusst auf den oft ignorierten Teil. Die fast schon erscheinungshafte Präsenz, die durch die weißen Lichter in Floyers Werk erzeugt wird, verlangt von den Zuschauern, die vielleicht gerade versuchen zu entziffern, was sie sehen, eine besondere Konzentration.
 

Online Viewing Room

Wir freuen uns sehr, ankündigen zu können, dass Isa Melsheimers Ausstellung im KINDL nächste Woche eröffnet wird. Bevor Sie die Ausstellung besuchen, können Sie in unserem Online Viewing Room mehr über die Künstlerin, ihre Praxis und ausgewählte Werke erfahren.
 

Die Leseecke — Etienne Chambaud

Das Buch Counter-History of Separation basiert auf dem gleichnamigen Film, den ich 2010 mit meinem Freund, dem Kunsthistoriker Vincent Normand, geschrieben habe. Der Film handelt von der parallelen Geschichte der Guillotine und des modernen Museums, denn seine historische Spannweite lässt sich mit zwei Daten eingrenzen: 1793, das mit der Eröffnung des Muséum central des arts de la République, der ersten öffentlichen Sammlung und Vorgängerin des Louvre, gleichzeitig das Erscheinen der Guillotine auf der revolutionären Bühne und die Schaffung des Prototyps des modernen Museums bezeugt, und 1977, als in Frankreich die letzte Enthauptung durch die Guillotine stattfand und das Centre Pompidou, selbst ein neues Museumsparadigma, eingeweiht wurde.

Doch der Film ist keineswegs eine lineare Erzählung einer Reihe von Ereignissen, die sich zwischen diesen beiden Daten ereignet haben, sondern er erforscht in verschiedenen Fragmenten den Raum, der durch die optischen und politischen Grenzen der Moderne eröffnet wurde, indem er die Auflösung der scheinbar widersprüchlichen Funktionen der Guillotine und des modernen Museums in dem, was wir das "Enthauptete Museum" nannten, verfolgt - einem Raum dialektischer Operationen, des Schnittes und des Zusammenfügens, des Verschiebens und des Kuratierens.

Der Film selbst ist eine Art Schlachtfeld für disjunkte Kräfte: Zuweilen scheinen der allgegenwärtige und extrem verdichtete Voice-Over-Text und die Vielschichtigkeit von Bildern und Handgesten um den begrenzten verfügbaren Raum innerhalb der zeitlichen Grenzen der Laufzeit des Films zu kämpfen; er schafft ein Übermaß an geschichteter Information, die absichtlich die Grenzen dessen, was aufgenommen werden kann, ausreizt. Es mag die Betrachter sogar dazu zwingen, sich zu entscheiden, ob sie zuschauen oder verstehen, ob sie sich konzentrieren oder vereinnahmen lassen wollen.

Wenige Jahre nach der Veröffentlichung des Films dachten Vincent und ich über eine Buchversion von Counter-History of Separation nach. Es sollte kein Buch über einen Film sein, sondern eher ein Remake des Films im Raum eines Buches, eine Übersetzung seines Inhalts, aber auch seiner Produktionsweise, insbesondere seiner Produktionsweise der oppositionellen Beziehungen zwischen Bild und Text. Der Text des Voice-Overs wurde zur Grundlage eines Buches, von dem es nur eine Kopie gab, ein Buch nur mit Text, das dann in verschiedenen Settings und Maßstäben fotografiert wurde, um das endgültige Buch, ein Buch der Bilder, zu produzieren.

In diesem Sinne ist Counter-History of Separation ein Buch der Bilder, auf denen ein Text erscheint, der sowohl Teil dieser Bilder ist als auch irgendwie von ihnen getrennt: Er existiert in seinem eigenen konstanten Maßstab und verknüpft die fragmentarischen Szenerien, in denen er erscheint, miteinander. Das Ergebnis ist ein Fotobuch, das sowohl ein Textdokument als auch eine imaginäre Szene ist.

—Etienne Chambaud
 
<b>Counter-History of Separation</b><br>

Counter-History of Separation

Etienne Chambaud und Vincent Normand
Gedruckt von Geers Offset, Gent
Text in Englisch und Französisch
Auflage von 750
Hardcover, 288 Seiten, 16 x 24 cm
ISBN: 978-2-918252-28-3
25€

Available here

 

Journey Through the Gallery

Tomás Saraceno, Flying-Garden/Air-Port-City/32SW/Iridescent, 2007, Ballons, Gewebe, irisierende Folie, elastisches Band, ø 170 cm circa (cluster)
Photo © Roman März

Diese Skulptur mit dem Titel Flying-Garden/Air-Port-City/32SW/Iridescent bezieht sich auf Tomás Saracenos größeres laufendes Projekt Cloud Cities, in dem der Künstler die Möglichkeiten zukünftiger autonomer und nachhaltiger Lebensräume, Architektur und Urbanismus erforscht.

Saraceno schlägt utopische Visionen von Städten, Siedlungen und Gärten vor, die in der Luft schweben und sich nur auf die Energie natürlicher Quellen stützen. Seine Visionen sind von der interdisziplinären Forschung geprägt, die er zusammen mit seinem Atelier durchführt - eine Reihe von Streifzügen durch Materialwissenschaft, Biologie, Astrophysik, Ingenieurwissenschaften und Atmosphärenforschung.

Klicken Sie HIER für weitere Informationen über die Arbeit.